Ein Foto vom Buchcover von "Die Gnade der Götter"

BOOK_REVIEW: James Corey – Die Gnade der Götter – The Captive’s War

Die Gnade der Götter – The Captive’s War (engl. original: The Mercy of Gods) ist der erste Teil einer neuen Buch-Serie von James Corey, dem Pseudonym hinter dem die beiden Autoren Daniel James Abraham und Ty Corey Franck stecken, die bereits mit der erfolgreichen The Expanse-Reihe gezeigt haben, dass sie SciFi-Welten erschaffen können. Und auch Die Gnade der Götter legt den Grundstein für ein weiteres, umfangreiches Universum, das großes Potential hat, jede Menge spannender Geschichten zu erzählen.

Allein die Prämisse, hebt das Buch von vielen anderen SciFi-Stories ab. Denn während es Konflikte und Kriege zwischen der Menschheit und Aliens in der Literatur so viele gibt, wie Sandkörner am Meeresstrand, ist die Anzahl der Geschichten, wo die Menschheit den Außerirdischen derart unterlegen ist, wie es in Die Gnade der Götter der Fall ist, doch deutlich überschaubarer. Am ehesten kommt einem hier vielleicht noch Der Krieg der Welten von H.G. Wells in den Sinn, aber selbst hier ist es so, dass schon relativ bald, die Menschheit – wenn auch nur durch Zufall – die Oberhand gewinnt. Das passiert in Die Gnade der Götter zu keinem Zeitpunkt der Geschichte. Und diese absolute Unterlegenheit der Menschheit, macht viel vom Reiz des Buches aus.

Denn diese Unterlegenheit bietet den Autoren die Gelegenheit, die verschiedensten Facetten der menschlichen Psyche oder auch der Menschheit als Spezies zu zeichnen. Von Resignation zum Oppurtunismus bis hin zur Selbstaufgabe und Kampfeslust, jeder Charakter entwickelt sich im Laufe des Buches in eine etwas andere Richtung und muss trotzdem in der Gruppe der Menschen funktionieren, denn – und das ist eine zweite interessante Prämisse der Geschichte – wenn die Menschen nicht funktionieren und für die neuen Herren, eine Alienspezies Namens Carryx, nicht von Nutzen sind, steht die Ausrottung der gesamten Menschheit bevor.

Neben diesen ungewöhnlichen und deshalb interessanten Aspekten der Geschichte, haben die Autoren aber noch etwas weiteres geschafft, das gerade in der SciFi-Literatur extrem schwer ist: glaubwürdige, außerirdische Spezies zu erschaffen, die anders genug sind, um eindeutig nicht von der Erde zu stammen, aber andererseits nicht so abstrakt konstruiert sind, dass den Leser:innen jegliche Anknüpfungspunkte zum Verständis jener Spezies fehlen würden. Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil mit den Carryx nicht nur eine Spezies zu beschreiben ist, sondern die Vorgehensweise der Carryx eben gerade das Domeniszieren anderer Spezies als Kernelement ihrer Zivilisation hat. Sprich: wer in das Herrschaftsreich der Carryx integriert wird, trifft auf zig andere Spezies, die auch alle ihre Nützlichkeit beweisen müssen und die von den Autoren ebenfalls beschrieben werden müssen, um für die Leser:innen greifbar zu ein, ohne allzu irdisch zu wirken. All das gelingt James Corey vollumfänglich.

Wer mit so vielen unterschiedlichen Charakteren und Spezies jongliert, hat es schwer, das alles in einem Guss auf’s Papier zu bringen. Insbesondere, wenn man zu zweit an so einem Manuskript arbeitet. Und das ist auch einer der Kritikpunkte, die ich an dem Buch habe. Durch häufigen Perspektivwechsel zwischen den verschiedenen Menschencharakteren, aber auch verschiedenen Alien-Spezies, mag sich oft kein richtiger Lesefluss einstellen. Insbesondere zu Beginn des Buches, wenn wir Leser:innen noch nicht wissen um was es überhaupt geht und trotzdem aus einer Rückschau eines Carryx erzählt wird oder plötzlich aus dem inneren eines Menschen (oder eben nicht Menschen) die Welt erklärt wird, ist das bisweilen sehr verwirrend. Sobald man aber verstanden hat, wie das Buch konzepiert ist und wer oder was ein Hüter-Bibliothekar oder „der Schwarm“ ist, geht das Lesen deutlich leichter von der Hand. Trotzdem sei an dieser Stelle erwähnt, dass ich das englische Original aus oben genannten Gründen nur empfehlen würde, wer Englisch wirklich quasi auf Muttersprache-Niveau beherrscht. Sonst könnte das Verständnis und der Lesefluss weiter leiden, als er es ohnehin schon tut. Ich war zumindest froh, mich für die deutsche Variante entschieden zu haben.

Abgesehen davon, kann ich das Buch aber wirklich empfehlen. Ein großes Kapitel wird hier auch auserzählt, so das man am Ende nicht völlig ratlos oder gar frustiert zurückbleibt, weil die Geschichte mitten drin aufhört. Trotzdem ist Die Gnade der Götter eindeutig das Fundament einer neuen, großen Reihe. Es bleibt noch so viel offen und zu erzählen und zu entdecken, dass zumindest ich dann doch schon jetzt die Tage zähle, bis der zweite Band der erscheint

PS Auf Englisch ist im The Captive’s War-Universum im Oktober 2024 eine Novelle Namens Livesuit erschienen. Es ist kein „richtiger“ Teil der Reihe, sondern eher ein Spin-Off bzw. Teil 1.5 und erzählt die Geschichte von High-Tech-Super-Soldaten im Kampf gegen die außerirdische, überwältigende Bedrohung.

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