Kurzgeschichten werden von den Verlagen viel zu oft ignoriert. Umso schöner, dass Heyne mit Der Blick von den Sternen nicht nur welche veröffentlicht, sondern sogar einen Schritt weiter geht. Neben den Erzählungen finden sich in dieser Sammlung nämlich auch Zeitschriften-Beiträge des Autors und am Ende sogar ein Interview, was doch eher ungewöhnlich ist. Schade nur, dass trotz dieser Bandbreite inhaltlich nicht allzu viel dabei herumkommt.
Es ist natürlich schwer, einem Verlag in einer kapitalistischen Gesellschaft vorzuwerfen, den Fokus auf verkäufliche Ware zu legen. Aber gerade in einer Branche, die auch einen kulturellen Anspruch und wenn man so will, einen gesellschaftlichen Auftrag hat – und dafür zumindest hierzulande durch die Buchpreisbindung auch marktwirtschaftliche Unterstützung von außen erhält – darf man die Latte ruhig etwas höher legen. Und tut man das, muss man feststellen: Der Blick von den Sternen schafft es nicht, sie zu überspringen.
Die meisten Texte dieses Bandes sind dafür zu belanglos. Und zwar so belanglos, dass ich mir eine Übersetzung ins Deutsche und die Veröffentlichung nur damit erklären kann, dass sie eben von Cixin Liu stammen, der es durch die Netflix-Verfilmung seiner Trisolaris-Trilogie auch in unseren Breitengraden zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gebracht hat. Warum Heyne nun aber ausgerechnet diese Texte und dabei insbesondere diese Kurzgeschichten von Cixin Liu ausgewählt und für veröffentlichungswürdig erachtet hat, würde mich doch interessieren.
Fangen wir mit den Kurzgeschichten an. In vielen davon, hat Liu nicht wirklich etwas zu erzählen. Und zumindest hier darf man den Autor definitiv dafür loben, dass er es bei einer Kurzgeschichte belassen hat. Viele andere Autor:innen versuchen ja aus allem Stoff krampfhaft x-seitige Romane zu machen. Wie das mit der Idee, einen Wal fernsteuern zu können („Walgesang“), geendet hätte, mag ich mir gar nicht vorstellen. Denn allein die 19 Seiten, auf die Liu diese Idee streckt, haben bis auf die Kernidee sonst eigentlich nichts zu bieten.
Auch „Der Bote“ hat wenig Fleisch am Knochen und arbeitet einzig und allein auf einen Twist im letzten Satz hin, der aber nicht wirklich zünden will – was bei guten zehn Seiten aber verschmerzbar ist. Eine der längeren Erzählungen („Schmetterling“) hat hingegen durchaus eine interessante Prämisse. Der Protagonist will mit einem Supercomputer quasi die Weltformel entschlüsseln und so sich, seine Familie und sein Land vor einem Krieg schützen. Ganz ohne Schwächen und Albernheiten, wie wiederkehrenden, über eine Seite langen Non-Sense von Operationsbefehlen wie:
Alle in den Operationsbefehlen 1351 und 1357 befohlenen B3-Angriffe³ auf die Zielgruppen GH56, IIT773, NT44112, BBH091145, LO88, 1123RRT und 691HJ (indiziert unter TAG471 der Zieldatenbank) werden hiermit widerrufen.
kommt aber auch diese Erzählung nicht aus. Und auch die Geschichte „Glaubensbekenntnis“ hat mehr etwas von einem pseudo-philosophischen Erklärbär, als von einer tiefen Liebenserklärung an Wissenschaft und Physik, was wohl die eigentliche, durchaus schöne Intention der Geschichte ist.
Und so geht es dahin. Der Unterhaltungswert und die Qualität der Kurzgeschichten schwankt also enorm, kommt aber leider nie über ein Mittelmaß hinaus. Und da frage ich mich als Leser schon, was der Verlag in diesen Erzählungen sieht, um sie in einem Sammelband auf den Markt zu bringen.
Das hier soll aber auch nicht als Verriss verstanden werden, denn Der Blick von den Sternen besteht nun glücklicherweise eben nicht nur aus belanglosen und mittelmäßigen Kurzgeschichten, sondern auch aus Zeitschriftenbeiträgen von Liu. Deren Relevanz sollte man, was den Erkenntnisgewinn für das Genre der Science-Fiction betrifft, zwar auch nicht überschätzen und bei einigen, wenn nicht vielen Positionen, mag man Cixin Liu vehement widersprechen. Zum Beispiel beim Thema Erderwärmung, wo Liu in einem Artikel aus dem Jahr 2011 scheinbar offen fragt, ob diese wirklich existiert und überhaupt im Zusammenhang mit menschlicher Aktivität steht, nur um die Frage gleich selbst zu beantworten: „Obwohl es allseits propagiert und tausendfach wiederholt wird, hat die Wissenschaft auf diese beiden Schlüsselfragen gegenwärtig noch keine abschließende Antwort.“ Was so eben einfach nicht stimmt.
Nichtsdestotrotz spürt man in nahezu jedem Beitrag und ja, auch in seinen Kurzgeschichten, seine Liebe zur Science-Fiction und seine Fasziniation für das Universum und den Platz des Menschen darin. Und wenn er davon schreibt, dass die Menschheit schon mal weiter war, Chancen verpasst hat, ein Zeitalter der Raumfahrt einzuläuten und es vergessen hat, zu träumen, möchte man ihn am liebsten tröstend in den Arm nehmen und sagen: du hast Recht!
„Die Raumflüge vor Apollo 17 waren der Versuch des Menschen, seine Wiege hinter sich zu lassen. Die danach hatten zum Ziel, sich das Leben in der Wiege bequemer zu machen. Der Weltraum wurde Teil der ökonomischen Sphäre, wo der Output höher sein muss als der Input. Pionierhafte Aufbruchstimmung wurde ersetzt durch geschäftsmännische Zurückhaltung. Man brach dem Menschen die Flügel, die ihm geistig gewachsen waren.“
Eine oder einhundertausend Erden, 2011
Und so bleibt trotz all der hier genannten Kritik doch etwas übrig, das Der Blick von den Sternen lesenwert macht. Nämlich das Schaffen eines Gleichgesinnten zu lesen, von dem einen vielleicht in vielerlei Hinsicht Welten trennen, aber das einen gerade deswegen, um neue Perspektiven bereichert.

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