Free-to-play ist niederträchtig

In der Online-Ära der Menschheit, in der wir uns gerade befinden, haben wir uns daran gewöhnt, Sachen vermeintlich kostenlos zu bekommen. Während wir in der echten Welt nicht mit der Wimper zucken, drei Euro und achtzig Cent für im besten Fall mittelgute Kaffeevariationen in Pappbechern hinzulegen, bekommen wir im App-Store Schnappatmung, wenn Entwickler:innen es wagen, 99 Cent für ihr programmiertes Produkt zu verlangen.

Entsprechend groß ist das Angebot an Apps, die kostenlos heruntergeladen werden können. Und das ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Im Gegenteil! Die Open-Source-Community stellt ihre Kreationen seit jeher jedem:r frei zur Verfügung. Problematisch wird ein vermeintlich kostenloses Programm nur dann, wenn die Entwickler:innen damit Geld verdienen möchten. Und dabei ist es egal, wie exzessiv und von wem monetarisiert wird, moralisch verwerflich und hinterhältig ist dieses Bezahlkonzept immer.

Das Grundproblem muss ich an dieser Stelle wohl nicht mehr ausführlich erläutern. Immerhin ist Free-to-Play oder Free-to-Use schon lange etabliert. In aller Kürze: Wir bekommen Software initial gratis, aber trotzdem wollen die Entwickler:innen Geld von uns. Also haben wir eine Ausgangslage, die dafür sorgt, dass innerhalb des Nutzungsprozesses – bei Spielen also innerhalb der Spielerfahrung – Geld von uns verlangt wird.

Das müsste natürlich nicht so sein. Entwickler:innen hätten auch andere Möglichkeiten der Monetarisierung, selbst wenn sie uns ihr Programm nicht klassisch für einen bestimmten Preis verkaufen wollen. Sie könnten um freiwillige Bezahlung bitten, wenn das Programm genutzt wird. Sie könnten auch ein Abo-Modell mit kostenloser Probephase nutzen. Oder sie bieten eine kostenlose, abgespeckte Version an und verlangen Geld für eine Version mit größerem Funktionsumfang. All das gibt es.

Und trotzdem entscheiden sich unzählige Entwickler:innen dafür, einen anderen Weg zu gehen. Und zwar natürlich aus dem Grund aller Gründe: Geld. Viel, viel Geld.

Da das hier immer noch ein Gaming-Blog sein soll, konzentriere ich mich im Folgenden auf Free-to-Play-Spiele. Aber das Konzept, das ich kritisiere, lässt sich auch auf andere Programme, die keine Spiele sind, übertragen. Das betrifft insbesondere Social-Media-Apps, ist aber nicht darauf beschränkt. Dort wird dann zwar nicht direkt um unsere Euros gebuhlt, sondern um unsere Aufmerksamkeit und Zeit. Die lässt sich für die Unternehmen aber über Werbepartner wunderbar in bare Münze umwandeln. Bei Spielen funktioniert es dann doch ein bisschen direkter.

Uns muss bei Free-to-Play-Spielen eines von Anfang an bewusst sein. Die Entwickler:innen wollen uns nicht einfach nur unterhalten, sie wollen nicht das präsentieren, das sie in zum Teil jahrelanger, harter Arbeit künstlerisch erschaffen haben. Was sie wollen, ist unser Geld.

Das klingt jetzt gemeiner, als es gemeint ist. Und es ist auch nicht gesagt, dass nicht doch die Leidenschaft für Spiele die Erschaffenden dazu antreibt uns ihr vollendetes (haha) Werk vorzusetzen oder der Grund gewesen ist, überhaupt erst mit der Arbeit zu beginnen. Doch wenn sich Menschen entscheiden, auf Free-to-Play zu setzen, ist derlei Leidenschaft – das behaupte ich jetzt einfach mal – niemals der Hauptgrund. Dann wäre die Wahl nämlich auf ein Spendenmodell oder anderes Bezahlkonzept gefallen. Stattdessen hat man sich für Free-to-Play und damit die Manipulation der Spieler:innen entschieden.
Das „unehrliche Geschenk“

Die Manipulation beginnt schon ganz grundsätzlich damit, dass Free-to-Play-Spiele ein „unehrliches Geschenk“ sind, wie Dr. Benjamin Strobel es im Podcast OK COOL formuliert. Ein ehrliches Geschenk hat keine Intention außer der, dem/der Beschenkten eine Freude zu machen. Das ist bei Free-to-Play-Titeln aber nicht der Fall. Ganz im Gegenteil. Dort ist die Intention, an unser Geld zu kommen. Und unser hart verdientes Geld weggeben zu müssen, ist nun nicht gerade das, was ich als „Freude machen“ bezeichnen würde.

Mit diesem vermeintlichen Geschenk, haben die Entwickler:innen aber eine riesige Hürde zu unserem Geldbeutel überwunden. Das klingt zunächst widersinnig, weil sie ja eben kein Geld von uns bekommen, sondern uns ihr Spiel gratis gegeben haben. Das Entscheidende aber ist: wir spielen ihr Spiel! Wir sind also drin. Eine andere Option wäre immerhin gewesen, dass wir das Spiel um 50€ hätten kaufen müssen uns aber wegen des Preises dagegen entscheiden. In diesem Fall hätten die Entwickler:innen gar nichts bekommen. Mit Free-to-Play bekommen sie uns zumindest schon mal niederschwellig in ihr Spiel. Und sind wir einmal drin, kann die Manipulation erst richtig losgehen!

Fabu von WASTED hat vor kurzem einen Artikel veröffentlicht, in dem er erzählt, wie er mehrere hundert Euro für das Free-to-Play-Spiel Tennis Clash ausgegeben hat. Dass viele Menschen aber auch deutlicher größere Summen für derlei Spiele ausgeben, mag wohl kaum jemanden überraschen.
Manipulation durch Verschleierung

Die Manipulationen der Spieler:innen durch die Entwickler:innen sind dabei breit gefächert und funktionieren unterschiedlich. Ein wichtiger Schritt dabei ist, zu verschleiern dass und wie viel Geld die Spieler:innen überhaupt ausgeben. Selten steht ein Euro-Zeichen an den Dingen, die wir kaufen sollen. Stattdessen kosten die Sache Diamanten, Goldmünzen oder Silber. Diese fiktiven Währungen werden für echtes Geld gekauft und dann im Spiel ausgegeben. So verlieren Spieler:innen das Gefühl dafür, wie viel die Sachen eigentlich kosten.

Ein Beispiel aus der Praxis: In Destiny 2 können wir das Golf-Emote „Perfect Swing“ für 1000 Silber kaufen. Das Silber wird uns für die Xbox-Version im Microsoft-Shop angeboten. Wir haben die Wahl aus verschiedenen Paketen und werden bereits hier gelockt, möglichst viel Geld auszugeben. Wenn wir nämlich für 50€ 5000 Silber kaufen, bekommen wir 1000 Silber gratis obendrauf! 50€ erscheinen uns trotzdem etwas viel, deshalb entscheiden wir uns für das Paket darunter: 3000 Silber + 500 Bonus-Silber für 30€. Und an dieser Stelle merken wir schon: die Dinge, die wir im Spiel kaufen, kosten uns nicht immer gleich viel Geld, sondern sind beeinflusst davon, wie wir uns außerhalb des Spiels eingedeckt haben. Bei jedem Kauf im Spiel, müssen wir also immer neu ausrechnen, wie viel uns das Silber tatsächlich gekostet hat. Und längst nicht immer sind die Zahlen so schön rund wie 1€ = 100 Silber.

Wir verlieren also das Gefühl dafür, wie viel Geld wir eigentlich ausgeben. Besonders niederträchtig ist dieses Verschleiern, weil nicht jeder Mensch überhaupt fähig ist, sich auszurechnen, wie viel eine Einheit der Fantasiewährung im echten Leben kostet. Zwar ist das alles keine höhere Mathematik, aber vielen Menschen fehlen schlicht die Fähigkeiten selbst eher simple mathematische Probleme zu lösen. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Aber allein an der Rechenstörung Dyskalkulie leiden fünf bis sieben Prozent der Weltbevölkerung.

Der große Wunsch der Entwickler:innen ist also, dass wir Geld ausgeben, das aber nicht mal bemerken. Und wenn wir uns dessen doch bewusst sind, dann sollen wir zumindest das Gefühl dafür verlieren, wie viel Geld wir ausgeben.
Manipulation durch Zuckerbrot und Peitsche

Weitere, effektive Manipulationen der Spieler:innen sind in die Spielmechanik eingebettet. Ganz klassische Mechanismen sind dabei Belohnung und Bestrafung.

Die Belohnung steht dabei in der Regel am Anfang des Spiels. Die Entwickler:innen wollen, dass wir uns gut fühlen. Nichts wäre fataler, als dass wir gleich zu Beginn die Lust am Spiel verlieren und es deinstallieren, ohne Geld ausgegeben zu haben. Es gilt also, uns im Spiel zu halten. Das geschieht durch schnellen Levelfortschritt, durch den Erhalt von Gegenständen usw. Eben all das, was wir Computerspieler:innen schon lange kennen. Dieses Belohnungsprinzip ist auch unabhängig vom Bezahlmodell. Nur ist es bei Free-to-Play-Spielen überlebenswichtig, während es bei anderen Spielen einfach dem Spielspaß dient.

Besonders beliebt ist zwar das Prinzip der Belohnung, aber Bestrafung findet in Free-to-Play-Spielen durchaus auch statt. So gibt es oft Spielboni, wenn der/die Spieler:in sich täglich für einen gewissen Zeitraum, zum Beispiel eine Woche lang, einloggt. Wird das auch nur einen Tag lang nicht gemacht, ist diese „Kette“ unterbrochen und beginnt von vorn. Die große Wochenbelohnung wird uns also verwehrt, weil wir es gewagt haben uns dem Spiel zu entziehen. Auch Ranglisten, auf denen Spieler:innen absteigen, wenn sie nicht täglich spielen, sind eine perfide Form der Bestrafung. Die Entwickler:innen erzeugen also Druck auf die Spieler:innen, der in einem Spiel, das Spaß machen soll, schlicht nichts verloren hat!

In nahezu jedem Spiel, dass mit Fortschrittsmechaniken arbeitet, gibt es das Belohnungprinzip. Die Inszenierung der positiven Ereignisse ist dabei nicht zu unterschätzen. Satte Sounds beim Levelaufstieg und coole Animationen beim Erhalt neuer Gegenstände sorgen dafür, dass die Belohnungen im Spiel richtige Ereignisse darstellen, auf die wir hinfiebern. Theoretisch wäre ein Levelaufstieg natürlich auch anders darstellbar. Es könnte zum Beispiel in der Bildschirmecke aus einer 2 eine 3 werden, ohne Lichtblitze, Geräuschuntermalung und so weiter. Das wäre aber langweilig und unser Gehirn würde nicht die feinen Glücksbotenstoffe bekommen, die wir so gerne mögen.

Free-to-Play-Spiele greifen genau da an. Die Entwickler:innen wissen natürlich, dass wir mehr von den Glücksschüben wollen. Unser Gehirn signalisiert uns „Das hat mir gefallen, gib mir mehr davon!“. Und wir bekommen auch mehr, mit einem ganz großen Aber! Denn während wir zu Beginn des Spieles eben sehr leicht an Belohnungen und dadurch an Glücksschübe kommen, wird das im Laufe des Spiel immer schwerer. Wir müssen immer mehr Zeit investieren, immer mehr Gegner besiegen, immer mehr Häuser bauen etc. um das zu bekommen, was uns am Anfang des Spiels so schmackhaft in den Schoß gelegt wurde.
Angriff auf unser Gehirn

Und natürlich sind die Entwickler:innen bereit, uns weiter mit unserem „Stoff“ zu versorgen. Wir müssen dafür nur unser Portemonnaie öffnen und bekommen einen Levelboost, neue Fähigkeiten, neue Gegenstände. Und ich glaube man muss kein:e Expert:in in Sachen Psychologie sein, um zu erkennen, dass hier auch das Thema Sucht beginnt.

Die neurologischen Vorgänge im Gehirn bei derlei Szenarien sind komplex. Die Ausschüttung von Botenstoffen, deren Verarbeitung etc. wirkt nicht bei jedem Menschen gleich. Ganz grundsätzlich kann man aber sagen, dass jeder Mensch für derlei Manipulation des Gehirns anfällig ist. Selbst die Menschen, die solche manipulativen Systeme entwickeln und wissen, wie sie funktionieren.

Wir werden also bei unserem Gehirn gepackt. Uns wird Glück versprochen und wir bekommen es auch. Allerdings nicht kostenlos. Wirklich wehren können wir uns nicht dagegen, sondern nur hoffen, dass die rationale Seite des Gehirns die Oberhand behält, wenn unsere Finger Richtung Ingame-Shop navigieren, um den nächsten „Schuss“ zu bekommen. Dass das Gehirn vieler Menschen aber diese Leistung nicht vollbringen kann und der Befriedigung des Glücksgefühls nachgibt, ist das, worauf die Entwickler:innen hoffen. Die Gefahr, dass das zur Sucht ausartet nehmen sie dabei billigend, ja vielleicht sogar wohlwollend in Kauf. Denn Süchtige, sind die besten Kunden.
Eine Sache von Ethik und Moral

Menschen, die solche Sachen programmieren und unter die Leute bringen, wollen uns also nicht unsere Freizeit mit tollen Spielen versüßen. Sie wollen Geld. Mehr nicht. So wundert es auch nicht, dass manche Spiele, insbesondere im Mobile-Bereich eigentlich keine Spiele mehr sind, sondern nur noch eine leere Hülle mit den oben beschriebenen Mechaniken dahinter. Entsprechend werden wir Spieler:innen täglich mit neuen Mobile-Spielen zugeballert, die mal eben zusammengeschustert wurden. Die Bezeichnung Spiel ist für diesen digitalen Abfall ist also eigentlich eine Adelung, die diese Programme nicht verdienen. Auf anderen Plattformen, wie dem PC oder der Konsole, sieht das in der Regel etwas anders aus. Ein Warframe oder Apex Legends in einem Atemzug mit Farmville zu nennen, erscheint deshalb absurd. Aber auch bei den oben genannten AAA-Vertretern darf nicht vergessen werden, dass sich alle diese Spiele Mechaniken bedienen, die uns aus ökonomischen Gründen manipulieren. Der einzige Unterschied ist, dass sich beim einen die Programmierer:innen mehr Mühe gegeben haben, den Abzockautomaten schick zu verkleiden, als beim anderen.

Das alles könnte uns schrecklich egal sein. Täglich schießen fancy Unternehmen aus dem Boden, die uns einreden irgendeinen überteuerten Scheiß ganz, ganz dringend zu brauchen. Das ist nervig und ätzend, aber eben das Wirtschaftssystem, in dem wir glauben leben zu müssen. Der große Unterschied zu Free-to-Play-Spielen ist, dass wir dabei in der Regel höchstens durch das Marketing manipuliert werden, nicht aber durch das Produkt selbst. Free-to-Play-Spiele aber greifen unsere menschliche Schwächen während der Nutzung gezielt am, um an unser Geld zu kommen. Das was da in buten Farben und satten Sounds auf dem Bildschirm leuchtet, ist also nur vordergründig ein Spiel, eigentlich aber ein Angriff auf uns Spieler:innen. Doch statt diesem Angriff auszuweichen oder entgegenzutreten, empfangen wir ihn mit offenen Armen.

Und genau durch diese Akzeptanz, funktioniert das Modell auch erst. Statt den Machern von Free-to-Play-Spielen ein großes „Fuck you!“ zuzurufen, wird fleißig runtergeladen, installiert, gespielt und gezahlt. Viele von uns behalten dabei die Kontrolle, aber alle schaffen es nicht, weil sie es schlicht und ergreifend aus den unterschiedlichsten Gründen nicht können.

Diesen Menschen, die täglich Gefahr laufen Geld auszugeben, das sie nicht haben; die täglich Triggern ausgesetzt sind, die bei ihnen zu einer Sucht führen, diesen Menschen gehört solidarisch beigestanden, indem Programme wie Free-to-Play-Spiele von uns allen als das gesehen und behandelt werden, was sie sind: manipulativ und niederträchtig. Und jeder Mensch, der versucht uns das Zeug unterzujubeln, gehört davongejagt.